Reisebericht Patagonien (3)

Fitz Roy, Cerro Torre und Glaciar Perito Moreno von Peter Jürgens

Donnerstag, 17.1.
Morgens um 6.00 Uhr ging der Wecker, um uns aus den Schlafsäcken zu scheuchen. Es war leicht bewölkt, und die Hoffnung, einen Sonnenaufgang am Fitz Roy zu erleben, war 50 : 50. Mit dem Wagen fuhren wir raus aus dem Ort und gingen in Warteposition. Die Sonne kam aber nicht, wie wir uns das gedacht hatten. Enttäuscht, nach einigen Pflichtaufnahmen, kehrten wir zum frühstücken zu den Zelten zurück, nachdem wir frisches Brot gekauft hatten.

Gegen 9.00 Uhr brachen wir zu unserer Bergtour zum Fuße des Fitz Roy auf - von 500 auf 1200 m. Durch Südbuchenwälder, über Almhänge mit Frauenschuh und gelben Hornveilchen ging es endlos lange bergan. Über Balkenbrücken überquerten wir Bäche und Sumpfflächen, um nach einem steilen, heißen Anstieg das Wunder am Fuße des Fitz Roy zu erleben.

Obwohl immer ein oder zwei Zacken in den Wolken verborgen blieben, genossen wir den gewaltigen Anblick von Feld, Eis und blauem Wasser. Eislawinen lösten sich vom Gletscher und polterten über eine Felsrutsche wie ein Wasserfall in den tiefblauen See. Nach einer Stunde machten wir uns auf den Rückweg, der gut 3 Stunden dauerte. Die Beine wurden immer müder, und der Rücken fing auch an zu schmerzen. Es zog sich, noch eine Kurve, noch eine Gerade, es nahm kein Ende. Aber schließlich schafften wir es doch. Unterwegs kamen uns noch 6 Lamas mit Gepäck einer Bergsteigergruppe entgegen, deren Ziel wohl der Fitz Roy war.

Im Ort latschten wir noch auf der staubigen Schotterstraße zum Zeltplatz, wo ein Bier unsere Lebensgeister wieder weckte. Nach einer Suppe und einer Dusche fühlte ich mich wieder wie ein Mensch. Nun sitzen wir nach einem Linsengericht und Rotwein noch zusammen und besprechen die Touren und Ziele der nächsten Tage.

Morgen früh wollen wir, wenn der Himmel klar ist, noch einen Versuch starten, um den Sonnenaufgang am Fitz Roy zu fotografieren.


Freitag, 18.1.
Der Weckruf blieb aus, so dass wir ausschlafen konnten. Als ich um 7.45 Uhr aus unserem Zelt krabbelte, war der Himmel leicht bewölkt, aber von Chile näherte sich ein blauer Streifen. Der Höhenwind schob die darüberliegenden Wolken regelrecht zusammen, was man bei uns so nie erlebt. Wir hoffen, den Cerro Torre heute auf unserer Tour frei zu sehen. Nach dem Frühstück machten wir uns steifbeinig auf den Weg. Die Tour gestern hatte doch bei allen ihren Tribut gefordert. Die meisten beschlossen, bis zum ersten Aussichtspunkt zu wandern. Schon von dort sollte man einen fantastischen Blick auf den Cerro Torre haben. Bis zum Gletschersee wären es von dort noch einmal 2 ½ Stunden. Wir wären zwar näher dran, hätten dann aber 3 ½ Stunden Latscherei zurück.

Auf dem Weg zum Mirador kamen wir wieder durch einen Südbuchenwald, in dem man das zähe Leben und das langsame Sterben der Bäume beobachten konnte. Ich sah oft an einem scheinbar abgestorbenen Stamm nach oben und ganz oben prangte noch ein grüner Zweig. Auf dem Rückweg fotografierte ich die Auferstehung: Aus einem langsam verrotteten Teilstamm wuchs ein junger Baum. Zurück zum Aussichtspunkt, wo wir uns niederließen und hofften, dass der Cerro Torre sein Wolkengewand abstreifen würde. Es geschah ganz langsam. Bis sich endlich alle Zacken frei im Sonnenlicht gegen den nun blauen Himmel abzeichneten, verging eine halbe Stunde. Alle vorherigen Fotos wurden gelöscht und durch die frischen Bilder ersetzt. Ehrfurchtsvoll bestaunte ich die schlanken Felsnadeln mit den senkrechten Wänden oben mit Eis gekrönt.

Wir hatten auf jeden Fall Traumwetter an zwei Tagen und konnten Anblicke genießen, von denen viele träumen. Wie oft hatte ich zu Hause gedacht, wenn im Fernsehen solche Bilder aus Patagonien gesendet wurden: Dort möchtest du auch mal hin.

Den Rückweg habe ich allein gemacht, weil ich noch etwas länger in der Sonne liegen wollte. An einer Abzweigung nahm ich die Nordroute zum Ort Chalten und sah viele Blumen am Wegesrand. Kurz vor dem Ort, als ich wieder in einen Südbuchenhain eintauchte, standen mir auf einmal weidende Lamas gegenüber. Sogar ein junges kam neugierig näher, um mich zu begutachten, bevor es wieder wegsprang auf ein altes Tier zu, das es wütend anspuckte. Es stimmt also, dass Lamas spucken, wenn sie wütend sind. Schöne Fotos habe ich von ihnen gemacht.


Samstag, 19.1.
Der Tag begann mit einem perfekten Sonnenaufgang am Fitz Roy. Um 6.00 Uhr war Wecken, schnell in die Kleidung geschlüpft und ab in den Wagen in Richtung Ortsausgang von El Chalten. Als wir unsere Position mit Blick auf Fitz Roy und den Cerro Torre eingenommen hatten, verfärbte sich hinter uns der Himmel violett, dann rot und schließlich orange. Die Berge auf der gegenüberliegenden Seite, die sich vorher wie Scherenschnitte gegen den blauen Himmel abgehoben hatten, wurden blau und immer heller, nahmen ihre natürliche Farbe an, und dann geschah das eigentliche Farbwunder: An der Spitze glühte der Fitz Roy flammend rot auf, die Flamme breitete sich nach unten hin aus. Die Eiskappe des Cerro Torre erglühte ebenso und in wenigen Minuten waren die Felsen rot angestrahlt. Drehten wir uns um 180 Grad, konnten wir sehen, wie sich die Sonne strahlend erhob. Wer so ein Schauspiel miterlebt hat, kann verstehen, dass die meisten frühen Kulturen die Sonne als lebensspendenden Gott angebetet haben.

Wunderschöne Aufnahmen sind mir gelungen. Das Wetter hat wieder einmal perfekt gepasst, fast keine Wolken waren am Himmel. Nachdem wir uns satt gesehen hatten, fuhren wir zurück, frühstückten, luden ein und weiter ging es neuen Wundern entgegen.

Unser heutiges Ziel war der Los Glaciares - Nationalpark bei El Calafate. Im Ort machten wir für 2 Stunden Station, um zu telefonieren, zu trinken und Vorräte zu ergänzen. Dann dem nächsten Wunder entgegen, dem Perito Moreno-Gletscher, der sich hier in den Lago Argentino schiebt. Christian führte uns auf einem Schleichweg zu einem fantastischen Aussichtsplatz ohne Touristen; mit einem grandiosen Blick auf die Gletscherkante und dir umgebende Bergwelt. Und alles bei strahlend blauem Himmel. 45 cm pro Tag schiebt sich der Gletscher dem See entgegen, und wir konnten sogar einige Abbrüche von der Gletscherkante in den See filmen und fotografieren. Es knallte und krachte alle paar Minuten und Wasserfontänen schossen empor, wenn die Eisbrocken ins türkisfarbene Wasser stürzten. Flutwellen breiteten sich aus und ließen die im Wasser schwimmenden Eisbrocken schaukeln.

Drei Stunden saßen wir staunend vor diesem Naturwunder, die Kameras immer in Bereitschaft, um blitzschnell reagieren zu können, wenn ein Krachen einen Absturz ankündigte. Um 19.00 Uhr mussten wir uns aber endgültig loslösen, denn wir hatten noch keinen Zeltplatz. Im Park waren beide Plätze, die Christian sonst anfährt, gesperrt. Die Parkverwaltung wollte wohl, dass die Leute abends rausfahren und am nächsten Tag wieder neu zahlen. Wir fanden trotzdem einen Pfad, der von der Straße wegführte. Wir folgten ihm zu einem wunderschönen verwunschenen Platz. Gras bewachsen, von knorrigen, teils umgestürzten Rotbuchen umgeben, bauten wir unsere Zelte auf einer ebenen Fläche auf. Es machte mir Spaß, die nähere Umgebung zu erkunden und einige schöne Aufnahmen von alten Bäumen mit Bärten zu machen. Christian hatte bis 22.00 Uhr ein tolles Essen kreiert. Ein Schluck Rotwen dazu, und wir waren rundum zufrieden. Wieder war ein Traumtag zu Ende. Bergfest hatten wir heute. Von nun an geht es wieder bergab.


Sonntag, 20.1.
Nun sitze ich wieder auf meinem gestrigen Platz Aug in Aug mit dem Perito Moreno-Gletscher und schreibe die Zeilen in mein Tagebuch von gestern und heute. Vorhin krachte eine ganze Säule von der Kante ab, mit einer riesigen Fontäne als Folge. Bis 13.30 Uhr wollen wir uns hier noch aufhalten. Das Wetter ist jedoch mehr bedeckt als sonnig, die Bergspitzen in Wolken. Immer wieder muß ich das Schreiben unterbrechen, wenn Eisbrocken sich vom Gletscherrand lösen. Grandios! 30 km lang und 4 km breit soll der Gletscher sein, die Kante bis zu 50 m hoch. Eben ist wieder etwas abgebrochen, als ich schrieb. Jetzt krachen die Flutwellen ans Ufer. Aber es kam noch heftiger, als wir auf dem Weg zu unserem Wagen waren. Ein riesiger Block löste sich, und mit ohrenbetäubendem Krachen schlug er ins Wasser, und wir ärgerten uns, nicht noch 5 Minuten gewartet zu haben. So ist das Leben.

Der Ausgleich kam auf der Fahrt zu unserem Campingplatz La Roca, auf der anderen Seite des Sees. Abrupt bremste Christian. Ich hörte nur "Kondor" und war wie elektrisiert. Als ich mit meiner Nikon aus dem Wagen stürzte, stellte ich zu meinem Kummer fest, dass ich nicht das Tele drauf hatte. Ich zurück in den Wagen und das Objektiv gewechselt. Ich bekam auch noch meine Chance für ein gutes Foto. Einige Minuten später segelten sogar drei Kondore über uns hinweg. Nun war ich voll im Einsatz. Ein Foto nach dem anderen ....

Ein majestätischer Anblick, diese riesigen Vögel fast ohne Flügelschlag über uns hinwegsegeln zu sehen. Schöne Aufnahmen sind mir gelungen. Wieder haben wir etwas gesehen, wovon wir gar nicht zu hoffen gewagt hatten. Nach einer Viertelstunde war das Schauspiel vorbei, und sie waren als kleine Punkte am Himmel verschwunden. Dieses Erlebnis müssen wir erst einmal verinnerlichen.

....Aus dem Küchenzelt dringt ein verführerischer Duft herüber. Es ist 19.25 Uhr, und in 20 Minuten soll es Essen geben. Morgen geht es nach Chile rüber, nach Puerto Natales (der Hafen der letzten Hoffnung).